Black Friday: Reptiliengehirn auf Einkaufstour

Heute ist es wieder so weit: Black Friday, das (mittlerweile) internationale Fest des hemmungslosen Konsums, lockt mit irrsinnigen Rabatten und „unwiderstehlichen Deals“. Auch wenn Deutschland noch längst nicht bei den amerikanischen Verhältnissen angekommen ist, wo zwischen 2006 und 2018 im Rahmen der Konsumtage elf Menschen starben und 109 verletzt wurden, frage ich mich jedes Jahr: Was machen wir da eigentlich?
„Die Analysen haben mir gezeigt, warum Menschen gern haben wollen. Die Gründe sind vollkommen nachvollziehbar, denn Habenziele sind konkret, erreichbar, gesellschaftlich akzeptiert und belohnen einen auf vielfältigste Weise im Handumdrehen. Letztendlich kann jeder seine Ziele und die Mittel zur Zielerreichung selbst wählen. Lapidar gesagt, gibt es für das Streben nach Zielerreichung (letztlich das hedonische Ziel, glücklich sein) verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichsten Konsequenzen. Dabei ist deutlich, dass wir Menschen die Vernichtung des Planeten in Kauf nehmen. Dies ist dysfunktional, aber, psychologisch gesprochen, eine Entscheidung, die sich deutlich in unserem Verhalten widerspiegelt. Die Kluft zwischen hehren Absichten (zu verzichten) und Verhalten (Verschwendung) ist in der Psychologie nichts Besonderes, daher beobachte ich bei der Schädigung der Erde ein ähnliches Phänomen, wie man es bei einem Raucher sieht: Der weiß, dass er vom rauchen auf jämmerliche Weise zugrunde gehen kann. Er tut es trotzdem. Mit Vernunft hat das wenig zu tun.“
Dieses Schlusswort des Kölner Autors und Psychologen Jens Förster in seinem wunderbaren Buch „Was das Haben mit dem Sein macht. Die neue Psychologie von Konsum und Verzicht“ fasst das heutige Schauspiel bestens zusammen.
Buchtitel "wa das Haben mit dem Sein macht" von Jens Förster
Wir wissen, dass Konsum von Plastik unsere Umwelt auf Jahrhunderte im Voraus vermüllt. Wir wissen, dass die Herstellung der Ramschware auf Ausbeutung, oftmals auch auf Kinderarbeit oder unmittelbarer Sklaverei basiert. Wir wissen auch, dass wir die meisten Dinge nicht brauchen, die uns gerade in grellen Farben um die Ohren gehauen werden. Und doch greifen wir zu. Vermutlich ist in der Pandemie die Versuchung, die im Leben entstandenen Lücken durch Konsum zu füllen, besonders groß. Und das ist ganz normal, denn das Neuromarketing hat unsere Psyche längst bis ins kleine Detail analysiert, in seine Bestandteile zerlegt und lässt unsere urigsten Instinkte und primitivsten Triebe für sich arbeiten. Wir entscheiden nicht, unsere Emotionen tun es. Ich weiß es, denn in meinem aktuellen Job bin ich Teil dieser Marketing-Maschine.
Wie Tristan Harris, einer der Macher der sehr wichtigen Doku „The Social Dilemma“ in der hörenswerten Folge von Joe Rogan erklärte, mache das Wissen um die Manipulation nicht dagegen immun. Dass die meisten Rabatte von 60 oder 80 Prozent bei genauerem Hinsehen und Vergleichen nichts als ein Schwindel sind, spielt keine Rolle, wenn unser uraltes Reptilienhirn unmittelbar angesteuert wird. Dagegen sind wir größtenteils machtlos.
Und doch haben wir immer wieder die Wahl. Wir müssen nicht jedem Impuls nachgeben und mit entsichertem Warenkorb durch das Netz surfen. Und wenn unser Kauftrieb schon getriggert wurde, können wir uns immer noch dazu entscheiden, unser Geld für Fair-Trade-Produkte oder Merchandise von Künstler*innen auszugeben.
Nun ist die jährliche Black-Friday-Kritik am Kapitalismus eine ziemlich heuchlerische Angelegenheit für jemanden, der das ganze Jahr über recht unbeschwert konsumiert. Die Moral der Geschichte ist doch die Folgende…Oh mein fucking Gott, ein Super Big Legit Cloud Buster für nur 5.028,82 Euro!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * gekennzeichnet.

*
*
Du kannst folgende <abbr title="HyperText Markup Language">HTML</abbr>-Tags und -Attribute verwenden: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>