Interview | Polina Krasavina: Von der slawischen Handwerkskunst des Töpferns

 Vor einigen Jahren habe ich meine damals schwerkranke Großmutter in Kiew besucht. Um mich etwas von diesem schwierigen Besuch abzulenken, habe ich einen Töpferkurs gebucht. In einer kleinen Werkstatt lernte ich meine Lehrerin Polina Krasavina kennen. Durch ihre wunderbare Art hatte ich tatsächlich das Gefühl, irgendwas hinzukriegen. Auch wenn die wirklich wichtigen Handgriffe natürlich von ihr kamen. Mittlerweile ist meine Oma 95 und erfreut sich bester Gesundheit. Polina hat sich indes selbstständig gemacht und stellt wundervolle Töpferwaren nach der alt-slawischen Handwerkstradition her. In diesem spannenden Interview erfahren wir von Ritualen, bei welcher Temperatur Knochen schmelzen und der unglaublichen Geduld, die die Töpfermeisterin täglich bei ihrer Arbeit braucht.  

Wie bist du zu deinem Handwerk gekommen?

Ich wollte schon immer mit meinen Händen arbeiten, etwas Nützliches erschaffen. Bürojobs, die ich zwischendurch hatte, langweilten mich. Mir fehlte so eine Beschäftigung. Also habe ich mich in Kiew für einen Töpferkurs angemeldet, ohne mir allzu viel dabei zu denken. Meine Lehrer waren ein Ehepaar, die sehr gut zu mir waren. Dabei lernte ich nicht unbedingt besonders schnell. Einige meiner Freunde machten raschere Fortschritte.

Wie ging es von da an weiter?

Ab 2013 übte ich für mehrere Jahre. Ich ging zu den Kursen, wenn ich Lust darauf bekam. In meinem eigenen Tempo. Als ich nach Riga umgezogen bin, wollte ich weiter machen. So fand ich meinen Lehrer Arnis Preiss, der mich in die lettische Handwerkskunst des Töpferns einführte.

Ich habe viele spannende Dinge über ihn gehört.

Ja, er ist absolut fantastisch, kreativ und freundlich. Als einer der wenigen Menschen auf der Welt verfügt er über das Wissen um kristalline Glasur. Damit sieht es aus, als seien Kristalle im Geschirr gefangen. Ein bisschen, wie wenn man Salze oder Kristalle züchtet und sie dann unter einem Glas betrachtet. Es sieht sehr schön aus. Dabei stellt er richtig große Gegenstände her, was besonders schwierig ist.

Arnis selbst ist ein Farmer mit einem eigenen Gehöft, auf dem er Bienen züchtet und töpfert. Mittlerweile hat er auch eine kleine Galerie eingerichtet, die ich selbst noch nicht besucht habe.

Bild: Mittlerweile hat sich Polina eine eigene Werkstatt auf ihrem umgebauten Balkon eingerichtet. Der bis zu 1.200 Grad Celsius heiße Ofen steht auf dem zweiten Balkon und ist mit einem eigenen Stromkreis und Lüftung versehen. 

Wie hast du ihn überhaupt gefunden?

Auf einem Keramiker-Jahrmarkt in der Altstadt von Riga. Dort haben die Handwerker ihre Tricks gezeigt und ihre Waren angeboten. Ich hatte im Vorfeld nach einem Lehrer gesucht, also lud er mich dorthin ein. Irgendwie mochte ich ihn auf Anhieb. Er bot mir an, mich umsonst auszubilden, wenn ich ihm zur Hand gehen würde, was ich gerne annahm. Für ihn war es sehr praktisch, dass ich mich mit den russischen Touristen verständigen konnte. Dann allerdings führte Lettland Sanktionen gegen Russland ein und die Touristen wurden weniger.

Was ist das Schwierigste am Töpfern?

Die Fehlversuche. Viele Dinge gehen im Prozess kaputt, brechen, zerbröseln oder enthalten einen Fehler, den man nicht mehr korrigieren kann. Man gewöhnt sich mit der Zeit daran und entwickelt eine gewisse Geduld. Im Herstellungsprozess selbst fällt den meisten das Zentrieren am schwersten. Das
Stück Lehm muss sehr mittig auf der Töpferscheibe liegen, damit es funktioniert.

Die Phase auf der Töpferscheibe  ist an sich recht kurz und sollte selbst bei den schwierigsten Gegenständen nicht länger als 10 Minuten dauern. Dabei rede ich von meinen eigenen Erfahrungen. Natürlich gibt auch Handwerkswaren, die aus 3 oder 5 Kilogramm Lehm gemacht werden. Dafür fehlt mir
allerdings die Körperkraft und eine größere Töpferscheibe. Meine Sachen sind dagegen schnell in Form. Man darf den Moment nicht verpassen, wenn der Lehm anfängt zu trocknen. Das ist wichtig, um Dinge wie Henkel oder Verzierungen anzubringen. Wenn der Lehm zu trocken ist, werden sie nicht halten. Ist er zunass, könnte sich das Ganze verformen.

Ich habe erst kürzlich erfahren, dass man einige Probleme dadurch lösen kann, dass man dem Lehm Sekundenkleber beimischt. Dieser verbrennt dann später im Ofen, während der Gegenstand haften bleibt – was ohne Kleber nicht funktioniert hätte. Ein seltsames Detail.

Die meisten Sachen von mir werden auf der Töpferscheibe gefertigt. Ausschließlich mit der Hand arbeite ich eher selten – dann vor allem mit großen Tellern. Für sie muss der Lehm ideal ausgewalzt und gemischt sein, was richtig schwierig ist. Gerade habe ich schichtigen Lehm als Material, was nach dem Winter normal ist. In dieser Zeit kann ich die großen Teller nicht herstellen, da es der Lehm einfach nicht hergibt. Es passiert immer wieder, dass ein Stück Luft darin eingeschlossen ist. Wenn man es später im Ofen erhitzt, kann es explodieren und den ganzen Teller zerstören. Und die Gegenstände drum herum gleich mit.

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Ganz schön viele Sachen gehen kaputt, obwohl du nichts dafürkannst?

Ja, das liegt in den meisten Fällen an den eingeschlossenen Luftblasen. Wenn man zum Beispiel ein Teil nicht hermetisch genug angeklebt hat. Vor allem wenn man ohne die Töpferscheibe arbeitet, sind sie richtig schwer auszumachen.

Regt man sich dann nicht furchtbar auf, wenn fast fertige Arbeit kurz vorher kaputt geht?

Wer sich über so was aufregt, sollte nicht töpfern. [lacht] Nein, mich beruhigt die Arbeit eher. Es gibt ein Sprichwort, demnach ein Töpfer bei 10 Versuchen 9 Niederlagen erleidet. Wer sich dem stellen kann, wird irgendwann zum Meister. Ich kann diese Arbeit stundenlang verrichten. Sie ist abwechslungsreich, also muss ich nicht ständig das Gleiche machen.

Aufgeregt oder nervös würde ich mich gar nicht erst an diese Arbeit setzen, denn sie erfordert eine hohe Genauigkeit der Hände. Ich trinke auch nicht zu viel Kaffee vor kleiner Detailarbeit, da davon die Hände zittern. Wir spüren es im Alltag nicht, aber beim Malen oder eben Töpfern macht sich das
bemerkbar.

Welche Eigenschaften sollte der perfekte Lehm mitbringen?

Es gibt keinen perfekten Lehm. Je mehr Kollagene enthalten sind, desto elastischer wird er. Man nutzt ihn auch gerne zur Pflege der Haut. Lehm enthält allgemein viele Mineralien und ist von seiner chemischen Zusammensetzung her dem Menschen überraschend ähnlich. Weißen Lehm kann man in
Apotheken kaufen und er hat diverse Anwendungsbereiche.

Ein Schüler von mir hat mal angefangen, Lehm während einer Lehrstunde zu essen, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass es geht. Es schmeckt sandig-erdig. Ähnlich wie Kreide, die man früher in der Schule geknabbert hat.

 
Bild: Bei meinem ersten Besuch in Polinas damaligen Werkstatt. Was einfach aussieht, ist ohne Übung fast unmöglich. 

Wie hast du deinen Stil gefunden?

Durch Zufall. In der Werkstatt, in der ich gearbeitet habe, gab es keine Möglichkeit zur Glasur. Man konnte dort nur mit der Milch-Technik arbeiten. Also habe ich mich eingehender damit beschäftigt. Ursprünglich habe ich viele Dinge ausprobiert – auch mexikanische oder aztekische Teller. Dann
habe ich einmal das isländische Vegvísir-Symbol [Als Symbol findet er sich mit einer konkreten Darstellung im Huld Manuskript aus dem 19. Jahrhundert. Dort heißt es: „Wenn jenes Symbol geführt wird, soll der Träger weder bei Sturm noch Wind verloren gehen, selbst wenn der vor ihm liegende Weg unbekannt ist.“ Anmerkung des Autors] in einen Teller geschnitzt und da alle gerade die Vikings-Serie
schauten, kam es sehr gut an. Daraus ergab sich dann alles Weitere.

Meine Töpferwaren sind eher dekorativer Natur. Man kann sie natürlich auch als richtiges Geschirr verwenden, doch die meisten Kunden bestellen sie zur Zierde.

Kannst du die Milch-Geschichte etwas erklären?

Die Milch geht in die Lehmporen rein. Im Ofen verbrennt sie dann, ändert ihre Farbe und bildet eine Art Kruste auf dem Geschirr. Sie schützt die Ware dann auch vor Feuchtigkeit. Die Farbnuancen reguliert man mit der Brenndauer. Im slawischen Bereich ist dies eine sehr weitverbreitete Methode. Man hat da auch mit Quark und anderen Dingen experimentiert.

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Bild: Die Töpferwarenvon Polina Krasavina haben einen unverwechselbaren Stil.

Slawische Motive, skandinavische Runen…hat die Töpferei für dich einen spirituellen Aspekt?

Einen Starken sogar. Mein eigenes Leben hat sich stark verändert, seit ich die Töpferei zu meinem Beruf gemacht habe. Es gibt mir viel Kraft und beruhigt gleichzeitig. Ich kann ehrlicherweise nicht sagen, womit genau es zusammenhängt. Aber seitdem bin ich immer ausgeglichener geworden. Geerdeter. Als würde ich tatsächlich die Kraft der Erde spüren.

Zusätzlich ist da der schöpferische Aspekt. Man erschafft etwas wie ein Gott. Im Russischen sind die Teile eines Gefäßes nach Menschenteilen benannt – es gibt einen Arm (Henkel), die Nase (Ausguss), den Bauch, Hals und manchmal auch Füße. Es gibt viele Legenden darüber, dass die Menschen von einer Gottheit aus Lehm erschaffen wurden.

Auch arbeitest du mit allen vier Elementen, richtig?

Ja, das stimmt. Der Lehm ist die Erde. Du brauchst Wasser zum Formen, Luft zum Trocknen und Feuer zum Brennen. Natürlich ist das Feuer in meinem Fall eher im übertragenen Sinn, da ich mit einem elektrischen Ofen arbeite und kein Lagerfeuer in meiner Wohnung entfache.

Der Ofen ist aber auch etwas Besonderes und wurde eigens für dich angefertigt.

Ja, er wird bis zu 1.200 Grad Celsius heiß. Darin kann man problemlos einen Menschen verbrennen [lacht]. Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber irgendwo mal gelesen, bei welcher Temperatur Knochen sich zersetzen.

In China wurde sogenanntes Knochengeschirr erfunden. Es sind sehr schöne, fragile Gegenstände. Dafür werden zuerst Tierknochen gebrannt, bis alles Organische verschwunden ist und die Knochen zu Staub zerfallen. Diesen Staub mischt man dann dem Material bei, aus dem das Geschirr hergestellt wird. Das gibt eine ganz besondere Färbung.

Organische Stoffe brennen bei circa 400 – 450 Grad Celsius. Deswegen ist es auch nicht sehr gesund, während des Brennens neben meinem Ofen zu stehen. Eine richtige Raumlüftung ist da sehr wichtig. Denn aus dem gebrannten Material entweicht alles Mögliche bei der Verbrennung. Vielleicht war irgendwo eine Spur Quecksilber drin. Die will man nicht unbedingt einatmen. Selbst auf atomarer Ebene verändert der Lehm nach dem Brennen seine Struktur, das ist sehr spannend.

Du sagtest, dass dein Geschirr eher für dekorative Zwecke gekauft wird. Wofür konkret?

Oftmals für Rituale. Manche Menschen haben bei sich zu Hause einen Altar, auf dem sie dann unterschiedliche Rituale durchführen und mein Geschirr ist ein Teil davon. Sie stellen Kerzen rein, füllen sie mit Wasser auf oder verbrennen darin Sachen. Andere essen daraus Nüsse [lacht]. Da gibt es ganz unterschiedliche Menschen. Vieles will ich vermutlich gar nicht wissen.

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Gibst du deine eigene Energie an deine Handwerkswaren ab?

Absolut! Ich würde es fast schon Liebe nennen. Das fühlen die Menschen auch. Obwohl ich das niemandem aufdränge. Wenn jemand einfach Geschirr kaufen möchte, will ich nicht, dass diese Person aus Ehrfurcht Angst hat, sie zu beschädigen.

Weil sie sonst in deinem Ofen landen?

[lacht] Genau. Oder den Teufel herbeischwören. Oftmals sagen die Kunden es von sich aus. Dass meine Werkstücke eine starke Energie ausstrahlen. Ich habe viele Stammkund*innen. Manche sammeln sogar Stück um Stück ganze Sets, zum Beispiel für Tee-Zeremonien. Das weiß ich sehr zu schätzen, für mich ist es tolles Feedback.

Töpferei wirkt auf mich wie eine alte, sagenumwobene Kaste. Trifft es heutzutage noch zu? Bist du mit anderen Töpfer*innen vernetzt?

Ja, ich habe viele von ihnen in meinem Freundeskreis. Solange es ohne Konkurrenzdenken verläuft, ist es auch sehr harmonisch. Es kommt aber schon mal vor, dass man kopiert wird. Das macht die Sache schwieriger.

Aktuell hat Handarbeit eine Art Comeback. Der Zugang ist einfacher geworden. Früher musstest du einen Meister finden, nächtelang vor einem Loch im Boden hocken, während dein Geschirr dort gebrannt wurde. Die alten Töpferscheiben musste man manuell mit dem Fuß drehen und das Gewicht wog dabei schon mal bis zu 40 Kilogramm. Das alles ist heute nicht mehr nötig. Viele verzichten sogar auf den Töpferscheiben und modellieren Keramik einfach mit der Hand. Man kann alle Töpfer auch Keramisten nennen, jedoch sind nicht alle Keramisten Töpfer.

Was ist der größte Unterschied zwischen deinem Geschirr und dem aus einer Fabrik?

Technisch gesehen gibt es da keinen großen Unterschied. Ich stelle die Sachen jedoch mit den Händen her, in Fabriken werden die Sachen in Form gegossen. Daran sind Menschen kaum beteiligt. Ich habe mir das mal in Riga angeguckt. Es sind riesige Formen aus Gips, die maschinell befüllt werden. Sie
sind auch zu 100 Prozent gleich.

Und trotzdem bist du bei einem bestimmten Publikum sehr als Handwerkerin gefragt.

Mein Stammpublikum weiß die Arbeit dahinter zu schätzen. Auch wer die Sachen für sie herstellt, ist ihnen wichtig. Manchmal kommen Kunden zu mir und zeigen mir einen konkreten Gegenstand, den sie wollen. Sie legen dann Wert darauf, dass gerade ich es für sie herstelle. Bei der jüngeren Generation
fehlt das Verständnis für den Aufwand der Handarbeit leider oft.

Kannst du dich noch an das Geschirr in deinem Kinderhaus erinnern?

Ja, wir hatten seltsam zusammengewürfeltes sowjetisches Geschirr. Und es war immer dreckig [lacht]. Das habe ich gehasst. Wir hatten Rost im Leitungswasser, deswegen bekam man die Sachen nie richtig sauber. Die Tassen waren ständig gelb. Das hat mir zu schaffen gemacht.

Aktuell verkauft Polina ihre Waren ausschließlich über ihren Instagram-Kanal. Schaut unbedingt vorbei!
tättovierte Männerhand mit einem Krug stößt mit einer Frauenhand mit einem Kelch an

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