Die Leere ist groß: Gedanken eines Extrovertierten

Über ein Jahr suche ich nun nach Gründen mein Leben zu mögen. Nach einem Ziel für die Zukunft. Nach meinem Platz in dieser großen, weiten Welt. Ich habe Tausende neue Hobbys angefangen, mich in Arbeit und Ausschweifungen gestürzt. Ich habe unzählige innige und ernste Gespräche mit Menschen geführt, die ich sonst eher lose kannte. Corona gab mir diese intimen Abende ohne die Ablenkung durch Konzerte, Partys und eine Menschenmenge, in der ich sonst so gerne aufgehe. Und diese Zeit war kostbar und lehrreich. Ich bin für jeden dieser Momente dankbar, haben sie meiner rastlosen Natur doch eine erzwungene Entschleunigung geschenkt, zu der ich mich selbst vermutlich niemals durchgerungen hätte. Ich bin körperlich fit geworden – so fit wie noch nie. Kurzum: Ich konnte dieser schwierigen Lage lange etwas abgewinnen und mich sogar zeitweise an ihr erfreuen. Doch das Lächeln fällt mir immer
schwerer.

Ich musste bei den Memes immer schmunzeln, in denen introvertierte Menschen ihr Leben vor und nach Corona vergleichen und es auf beiden Bildern das Gleiche ist. Und auch wenn ich genau weiß, dass auch sie an der Situation leiden, sind diese Worte für die Extrovertierten, die Hungrigen und Rastlosen. Menschen, die sich durch Austausch definieren, den Moment in vollen Zügen genießen, das Leben in großen Schlucken trinken. Menschen, die gerne im Vordergrund stehen, die das Rampenlicht suchen.

Wenn man Reisende aufhält, tut es weh

Oft gelten wir als egoistisch, selbstsüchtig, oberflächlich. Bis zu einem bestimmten Punkt stimmt es auch. Und doch sind wir nun mal so gestrickt. Wie es in einer guten Serie mal hieß: „This is my design“. Wenn ich an einem Ort ankomme, denke ich oft schon an den nächsten. Ich kenne keine Langweile, jedoch kann ich auch nicht auf der Stelle treten. Der Weg ist meistens das klare Ziel. Für jemanden, dem Stabilität und Sicherheit besonders wichtig sind, ist dieser windige Charakterzug nur schwer zu verstehen. Doch ich weiß, dass die Reisenden unter euch genau wissen, was ich meine.

Diese Freiheit haben wir gerade nicht mehr. Es ist nicht nur die wilde Party, ein großes Konzertpublikum oder Ähnliches. Es sind auch die kleinen Sachen. Der Plausch mit der netten Bäckerin, ein kleiner Flirt mit der Thekenkraft, eine Begegnung im Park. All das Zwischenmenschliche, was oftmals passiv und unterbewusst abläuft, tankt unsere inneren Akkus gerade nicht mehr auf. Mir fällt es wahnsinnig schwer, mich so lange zurück zu ziehen. Als Musiker ist meine Bandaktivität von heute auf morgen für voraussichtlich Jahre zum Erliegen gekommen. Es gibt Proben, Livestreams, man kann Musik schreiben.

Doch die Bühne war immer das, was mich am meisten interessiert hat. Dort war ich wahrhaft frei. Auch
als Fan. Wir haben letztes Jahr ein kleines Konzert unter Corona-Bedingungen gespielt und obwohl es eine tolle Abwechslung war und mir gut tat, habe ich es nicht wirklich gefühlt. Wir spielen emotionale, aggressive, körperliche Musik. Ich muss die Menschen vor mir sehen, sie riechen und anfassen können.
Sonst fühlt sich mein Gehampel „da oben“ unecht und erzwungen an. Dieses Gefühl gab mir das Konzert. Von Livestreams ganz zu schweigen, obwohl ich sie für eine gute Sache halte. Nur eben nicht für mich.

„Durchhalten“ funktioniert nicht ohne Perspektiven

Letzten Sommer, als die Auflagen es zuließen, habe ich ein kleines „Festival“ in meinem Hinterhof mit einem Dutzend Menschen veranstaltet. Ich habe mir eine Running Order ausgedacht und die Livekonzerte danach auf eine große Leinwand projiziert (Aerosmith waren Opener). Es war ein wundervoller Tag. Und ich werde nie vergessen, wie meine Freunde am Abend den ganzen Metallica Gig stehend vor der Leinwand geschaut und dabei gebanged und mitgesungen haben, als wäre es ein richtiges Livekonzert. Die Erinnerung erfüllt mich mit aufrichtiger Freude und tiefem Schmerz. Es fehlt uns so sehr, dass es wehtut.

Es schmerzt auch, mit wie viel Gleichgültigkeit die „Mächtigen“ unserer Gesellschaft uns als Erstes den Umständen geopfert haben. Die Unterhalter, Macher, Kommunikatoren. Die Freaks, die Suchenden, die Leidenschaftlichen und Naiven. Wir können uns nur schwer wehren. Ein Künstler lebt für seine Kunst
und kann sich selten einen Anwalt leisten. Ein Thekenwirt liebt seine Theke – der Profit hält ihn eben über dem Wasser. Ein Veranstalter will Menschen zusammenbringen und ihnen eine gute Zeit bereiten – eine Lobby hat er nicht.

Es tut weh nicht zu wissen, wann das Ganze vorbei sein wird. Und was danach kommen soll. Viele müssen sich neu erfinden und das fällt schwer. Auch wenn es Chancen birgt. Unseren Wert definieren wir nicht durch unser Auto, nicht den Kontostand oder eine so abstrakte Sache wie Macht.

Mein innerer Kompass ist in diesen Zeiten mächtig durcheinandergeraten. Ich weiß nicht, wohin es geht. Ich lächele, ich versuche Trost zu spenden und suche ihn bei meinen Liebsten. Und doch ist die Leere groß. Ihr fühlt sie auch. Auch die, die sonst so unerschütterlich selbstbewusst und scheinbar sicher durch das Leben schreiten. Wir alle fühlen es. Wenigstens damit sind wir nicht allein. Und das ist okay. 

Zweifelt nicht an eurem Wert, weil ihr ihn gerade nicht wie gewohnt beweisen könnt. Habt keine Angst vor eurer Angst – sie ist ein gesunder Begleiter. Habt keine Scheu nach Hilfe zu rufen, auch wenn ihr es – wie ich – nicht gewohnt seid und es richtig schwerfällt. We’re all in this together now. Es wird schwer. Und doch wird alles gut. Dafür werden wir schon sorgen. Weil wir sind wie wir sind. 

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